Der Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Göttingen Prof. Markus Raffel führte die Flüge Ende Juli in Kalifornien durch. Raffel baute damit auf den wissenschaftlichen Untersuchungen auf, die das DLR anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des ersten Menschenfluges 2016 mit einem Nachbau von Lilienthals Eindecker unter anderem im Windkanal gemacht hatte. Der vom Otto-Lilienthal-Museum Anklam gebaute Doppeldecker ist jetzt am 18. September 2019 dem Museum als Dauerleihgabe übergeben worden.
Mit authentischen Materialien nachgebaut
Der Doppeldecker war im Otto-Lilienthal-Museum in Anklam aus authentischen Materialien (Weidenruten, Hanfseil, Shirting und Stahldraht) nach erhaltenen Plänen Lilienthals und Stoffanalysen erhalten gebliebener Gleiter gebaut worden. Der Doppeldecker wurde im Laufe des Jahres bei Schleppversuchen an einer Seilwinde getestet. Die dabei ermittelten Flugeigenschaften dienten der Einstellung der Seillängen mittels Spannschlössern, die Otto Lilienthal extra für diesen Zweck entwickelt hatte.
Die Flugversuche fanden zwischen dem 21. und 30. Juli 2019 an der Pazifikküste Kaliforniens nahe der Stadt Monterey statt, wo konstant günstige Windbedingungen herrschen.
Beweis der fliegbarkeit angetreten
«Er war vom ersten Flug an sehr gut steuerbar und flog ausgesprochen gutmütig», so Pilot Raffel. «Ein leichter Linksdrall, der während der ersten Flüge durch seitliche Gewichtsverlagerung ausgeglichen werden musste, konnte an den folgenden Tagen durch eine sorgfältigere Einstellung des Seitenleitwerks und der Streben des oberen Flügels abgestellt werden.»
Die Flüge dauerten typischerweise 10 bis 14 Sekunden und waren durch die Brandung auf Distanzen von etwa 100 m begrenzt. Der Wind kam aus West/Südwest/ mit sehr konstanten Geschwindigkeiten zwischen 5 und 7 Meter pro Sekunde (18 bis 25 Kilometer pro Stunde). Die Flughöhen wurden aus Sicherheitsgründen auf drei bis vier Meter begrenzt.
Zwar haben die Untersuchungen im Windkanal durch das DLR die guten Flugeigenschaften des Gleiters in der Theorie bestätigt. Aber nur ein Flugversuch konnte zeigen, dass es auch tatsächlich möglich ist.
Amerikanischer Stuntman führte Flüge durch
Der Gleiter wurde wie vor 123 Jahren durch Otto-Lilienthal an einen amerikanischen Flugenthusiasten übergeben. Damals flog Robert W. Woods, der später als Physiker bekannt wurde und seine Begegnung mit Lilienthal im Jahre 1896 schilderte. So wie damals konnte auch in diesem Sommer der zweite Pilot mit dem für ihn eingestellten Gleiter sofort mit nur wenig Anleitung fliegen.
Diesmal flog der amerikanische Stuntman und Hang Glider-Fluglehrer Andrew Beem. 25 Kilogramm leichter als Markus Raffel und mit 25 Jahren Flugerfahrung in Hängegleitern, übertrafen seine Flüge sofort alle Erwartungen. So konnte er nach nur wenigen Flügen elegant starten, steuern und auf den Punkt genau landen.
Erfolg Lilienthals auf der Basis von drei Leistungen
Nach Otto-Lilienthals Tod am 10. August 1896 durch einen Absturz mit dem Eindecker, waren die Flugapparate Lilienthals ausserhalb Deutschlands in den Verdacht geraten, keine ausreichende Flugstabilität und Steuerbarkeit zu besitzen. Anlässlich des 125-Jahre Jubiläums des Menschenflugs, das auf die ersten Flüge Lilienthals im Jahren 1891 zurückgeht, hatte das DLR den Eindecker, der auch dem Unterteil des Grossen Doppeldeckers entspricht, in dem grossen Deutsch Niederländischen Windkanal (DNW) untersucht. Das Ergebnis bestätigte die guten Flugeigenschaften, so dass Markus Raffel den Eindecker (Normalsegelapparat) 2018 an der Küsten Kaliforniens zum ersten Mal fliegen konnte. Es waren die ersten gut dokumentierten Flüge des Normalsegelapparates seit Lilienthals Tod.
Die Leistungen Lilienthals wurden praktisch von allen nachfolgenden Pionieren der Luftfahrt anerkannt und aufgegriffen, wie Dr. Bernd Lukasch, Leiter des Otto-Lilienthal-Museums Anklam, das den Nachbau des Gleiters im Auftrag des DLR durchführte, mitteilte. Sein Erfolg sei durch drei Leistungen möglich geworden: Er habe das wissenschaftliche Rätsel des Auftriebs gelöst, er habe ein patentierbares Produkt erstellt und er habe sich das Fliegen beigebracht.