«Cockpit»: Peter Merz, Sie sind Projektleiter Neues Kampfflugzeug Luftwaffe. Welches waren Ihre hauptsächlichen Aufgaben in dieser Funktion in den letzten Jahren und wo liegen die Schwerpunkte Ihres Engagements in den kommenden Monaten?
Peter Merz: Im Projektteam, welches von der Beschaffungsbehörde Armasuisse geführt wird, vertrete ich die Interessen der Luftwaffe und bin mitverantwortlich beim Formulieren der Anforderungen an das Neue Kampfflugzeug (NKF). Mein Team hat die Flug-, Boden- und Simulator-Erprobungen der vier Kandidaten massgeblich unterstützt und wird bei den bevorstehenden Evaluations-Arbeiten mitwirken. Unser Ziel besteht darin, dem Bundesrat das für die Schweiz am besten geeignete Kampfflugzeug zur Wahl vorzuschlagen. Ebenfalls sind wir daran, den künftigen Einsatz, die Ausbildung und die Einführung des NKF mittels Konzepten zu organisieren oder vorzubereiten.
Die geopolitische Lage lässt keinen Zweifel an der Bedeutung einer starken, funktionierenden und reaktionsfähigen Armee und damit auch einer modernen Luftwaffe aufkommen. Allerdings haben sich die Anforderungen auch an die Luftwaffe in den vergangenen Jahren laufend verändert. Welchen Herausforderungen wird sich die Schweizer Luftwaffe in den kommenden Jahren und Jahrzehnten stellen müssen?
Trotz neuer Herausforderungen wie Cyber- oder Terror-Bedrohungen, Informationskrieg oder ganz aktuell die Covid-19-Pandemie bleibt gemäss Bundesverfassung die zentrale Aufgabe für die Luftwaffe auch künftig, die Schweizer Bevölkerung gegen Bedrohungen aus der Luft zu schützen. Sogenannt «neue» Bedrohungsformen ersetzen die «alten» nicht; sie entstehen zusätzlich und machen die Herausforderungen komplexer.
Was heisst dies im Hinblick auf das NKF?
Dies bedeutet konkret auf das NKF bezogen, dass in der normalen Lage – also in Friedenszeiten – die Wahrung der Lufthoheit mittels Luftpolizeidienst rund um die Uhr sowie der Ausbildungs- und Trainingsbetrieb der Piloten und Bodenbesatzungen inklusive Miliztruppen sichergestellt werden muss. In einer Spannungslage muss das NKF gemeinsam mit der bodengestützten Luftverteidigung (Bodluv) in der Lage sein, den Schutz des Schweizer Luftraumes über längere Zeit zu gewährleisten, falls erforderlich sogar über Wochen mit hoher Präsenz von Flugzeugen in der Luft. In einem Verteidigungsfall bildet das NKF zusammen mit Bodluv das Rückgrat der Schweizer Luftverteidigung. Parallel dazu sollen Luftaufklärungs-Missionen sowie die Unterstützung der Bodentruppen mittels Angriffen aus der Luft durchgeführt werden können.
Was bedeutet «Luftüberlegenheit der Zukunft» aus Schweizer Sicht?
Die zentrale Aufgabe für das neue Kampfflugzeug bleibt die Luftverteidigung. Ziel ist es, zusammen mit der bodengestützten Luftverteidigung einem Gegner mindestens während einer beschränkten Zeit die Erlangung der Luftüberlegenheit über unserem Territorium zu verunmöglichen und gleichzeitig die Armee am Boden mit Angriffen aus der Luft zu unterstützen und Luftaufklärung zu betreiben. Im gesamten Schweizer Luftraum muss die Luftwaffe bei erhöhten Spannungen innerhalb von Minuten gegen Luftraumverletzungen durch nicht kooperative Zivilflugzeuge, militärische Transportflugzeuge, Drohnen und in den Luftraum eindringende Kampfflugzeuge erfolgreich intervenieren können. Im alltäglichen Luftpolizeidienst muss die Luftwaffe rund um die Uhr Einschränkungen in der Benutzung des Luftraums durchsetzen, Vorkommnisse überprüfen und Piloten in Not Hilfe leisten.
Mit welchen Massnahmen stellt die Schweizer Luftwaffe die Kontrolle über ihr Hoheitsgebiet sicher und welche Mittel sind dazu zwingend nötig?
Um auch künftigen Bedrohungen aus der Luft entgegnen zu können, muss die Schweiz ihre in die Jahre gekommenen Luftverteidigungssysteme am Boden und in der Luft erneuern. Das «Programm Air2030» setzt sich aus insgesamt vier Projekten zusammen. Nebst NKF und Bodluv gehören auch «C2Air», also der Ersatz des Herzstücks des Führungs- und Luftraumüberwachungs-Systems FLORAKO, sowie «Radar», der Werterhalt der Überwachungsradare, dazu. Alle betroffenen Systeme wirken gemeinsam im gleichen Luftraum, sind eng miteinander vernetzt und schaffen die Voraussetzung für eine moderne, leistungsfähige und effiziente Luftverteidigung der Zukunft.
Inwiefern stossen die beiden aktuell bei der Luftwaffe noch im Einsatz stehenden F-5 -Tiger und F/A-18C/D Hornet im Hinblick auf die modernen Anforderungen bereits heute an ihre Grenzen?
Die F-5 Tiger sind seit über 40 Jahren im Dienst. Deren Technologie stammt teilweise aus den 1950er-Jahren. 26 F-5 Tiger werden zur Entlastung der F/A-18-Flotte eingesetzt, zum Beispiel für Zieldarstellung, Ausbildung, Patrouille Suisse und, beschränkt bei Tag und guter Sicht, für Luftpolizeidienst. Die 30 F/A-18 Hornet wurden 1997 eingeführt. Das Parlament hat mit der Armeebotschaft 2017 eine Verlängerung der Nutzungsdauer bis 2030 bewilligt. Für diese technischen Massnahmen zur Erhöhung der Lebensdauer von 5000 auf 6000 Flugstunden pro Flugzeugzelle werden 450 Millionen Franken eingesetzt. Eine Nutzungsdauerverlängerung bis 2035 wurde geprüft, aber aus finanziellen und technischen Gründen verworfen. Für die notwendigen Sanierungen in den Bereichen Struktur, Triebwerk, Subsystemen und Avionik wäre mit Investitionen von weiteren rund 800 Mio. Franken zu rechnen. Dies für einen Weiterbetrieb von lediglich fünf Jahren. Zudem wären die F/A-18 modernen gegnerischen Kampfflugzeugen immer weniger ebenbürtig, wenn nicht gleichzeitig die Sensoren und Selbstschutzsysteme ersetzt und die Rechnerkapazität erhöht werden, was zu nochmaligen geschätzten Kosten von 1,75 Milliarden Franken führen würde.
Schliesslich wäre die Schweiz nach heutigem Kenntnisstand nach 2030 die einzige Nation weltweit, welche die F/A-18 C/D noch einsetzen würde. Sie müsste somit die militärischen, finanziellen und technischen Risiken alleine tragen.
In Kürze ist das Stimmvolk in der Verantwortung und wird die Weichen in eine Zukunft stellen, in der es um eine langfristige Investition in die Sicherheit der Schweiz und ihre Bevölkerung geht. Ihre persönliche Botschaft an den Souverän?
Das Stimmvolk wird einen Entscheid mit enormer Tragweite fällen, denn ohne den Ersatz der heutigen Kampfflugzeuge wird die Schweizer Bevölkerung nach 2030 nicht mehr gegen Bedrohungen aus der Luft geschützt sein. Es gilt zu beachten, dass es keine Alternativen zu Kampfflugzeugen und bodengestützter Luftverteidigung gibt. Unsere heutigen Mittel sind bereits veraltet oder werden es bald sein. Und: Die Beschaffung wie auch der Betrieb des neuen Kampfflugzeugs über 30 Jahre werden aus dem ordentlichen Armeebudget bezahlt und gehen nicht zu Lasten anderer Bundesaufgaben.
Das ganze Interview ist in der gedruckten Ausgabe 8/20 nachzulesen.
Die Schweizer Stimmberechtigten werden am kommenden Sonntag, 27. September über den Bundesbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge abstimmen. Die Abstimmung in Kürze ist unter diesem Link nachzulesen. In der Broschüre Air2030 sagt dazu die Chefin VBS, Bundesrätin Viola Amherd folgendes: «Es geht nicht nur darum, Kampfflugzeuge für die Luftwaffe,die Armee oder das VBS zu beschaffen. Es geht um den Schutz aller Menschen in der Schweiz, den Schutz unseres Landesund der Infrastruktur, die nötig ist, damit unsere Gesellschaft, unser Staat und unsere Wirtschaft funktionieren.»
Ihre Stimme zählt!