Das Fliegen über den Alpen vermittelt unvergessliche Erlebnisse. Die markanten Berggipfel aus der Nähe, Bergseen, Gletscher und Pässe aus der Vogelperspektive zu bewundern, ist eindrücklich und überwältigend. Für Piloten indes ist das Fliegen in den Bergen anspruchsvoller als in ebenem Gelände. Eine sorgfältige Flugvorbereitung und eine den Verhältnissen angepasste Flugtaktik sind für eine sichere Durchführung eines Fluges elementar.
Falsche Flugtaktik im Gebirge als häufige Unfallursache
Alpeneinweisungen während der Ausbildung sind für jeden Piloten Pflicht. Mit Flügen im Gebirge wird der Flugschüler durch seinen Fluglehrer in die Grundlagen taktisch richtigen Fliegens in den Alpen eingeführt. An Weiterbildungskursen und mit Publikationen sensibilisieren Flugschulen und Aviatikverbände wie der Aero-Club der Schweiz (AeCS) oder der Motorflug-Verband der Schweiz (MFVS) auch Piloten mit Lizenz und Erfahrung regelmässig auf dieses Thema – im Sinne einer Auffrischung des Gelernten und zum Vermitteln neuer Erkenntnisse. Dennoch ist in den Untersuchungsberichten der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) häufig «Falsche Flugtaktik im Gebirge» als Unfallursache zu finden. Die Flugunfälle in den Alpen, so auch der Absturz der Ju 52 am Segnespass, haben unter anderem auch Fragen bezüglich der Flugtaktik aufkommen lassen.
Jederzeit umkehren können
Hitze oder Wetterbedingungen seien nie Ursache für einen Absturz, sondern wie damit umgegangen werde, sagte Daniel Knecht, Leiter der Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST an der Medieninformation nach dem Absturz der Ju 52. Mit dieser Aussage sprach er auch die Flugtaktik an. Wie aber sollen Piloten im Gebirge fliegen? Einer der elementaren Grundsätze lautet: einen Pass oder eine Krete talaufwärts nie im Steigflug anfliegen. Der Grund liegt auf der Hand: Steigt das Gelände stärker an als das Flugzeug mit seiner je nach Temperatur und Höhe eingeschränkten Motorenleistung an Höhe gewinnen kann, endet der Flug früher oder später mit einer Kollision mit dem Gelände. Der Einflug in ein Tal benötigt also genügend Höhenreserve, genauso wie der Überflug einer Krete oder eines Passes. Bewährt hat sich die Taktik, mit Wegpunkten, beziehungsweise Schlüsselpunkten zu navigieren. Damit ein Wegpunkt auf dem Flugweg zum Schlüsselpunkt wird, muss dieser Punkt von der aktuellen Position aus gut erkennbar sein und ohne Steigflug horizontal erreicht werden können. Über dem Schlüsselpunkt muss jederzeit eine Umkehrkurve eingeleitet werden können. Geflogen wird in der Regel auf der rechten Talseite, sofern dort keine starken Abwinde herrschen. Noch vor dem Überflug des Passes gilt es, das Wetter auf der anderen Seite zu beurteilen. Ist ein Überflug problemlos möglich, überquert man den Pass im rechten Winkel und mit einer Höhenreserve von mindestens 300 Metern. Wenn nicht, dreht man zurück ins Tal.
Die Umkehrkurve
Die Annäherung an den Pass erfolgt in einem 45°-Winkel. Dies ermöglicht es, mit genügend Platz eine Umkehrkurve zu fliegen, denn jede 180°-Kurve mit 30° Querlage benötigt mit zunehmender Höhe mehr Raum und Geschwindigkeit. Der Entscheid für eine Umkehrkurve muss frühzeitig gefällt werden. Sie erfolgt immer vom Hang weg, in horizontaler Fluglage oder sinkend, damit mit genügend hoher Geschwindigkeit geflogen werden kann. Andernfalls riskiert man, in einen überzogenen Flugzustand zu geraten, was zu einem Strömungsabriss beim Flugzeugs führen kann. Dieser endet oft fatal, braucht es doch zur Retablierung dieses Flugzustands genügend Höhe über Grund. Fliegt man zu tief, reicht die verbleibende Höhe nicht aus. Ein Pilot, der jederzeit mit einem Motorenausfall rechnet und in der Lage ist, an der aktuellen Position ohne Motorenleistung umkehren zu können, hat so viele Sicherheitsreserven, dass eine ungeplante Situation immer noch sicher gehandhabt werden kann.
Wetterwechsel, Winde und Sauerstoff
Auch den Wetterverhältnissen ist in alpinem Gebiet besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Rasche Wetterwechsel, Wolkenbildung, wechselnde und oft heftige Winde sowie Thermik sorgen für überraschende Auf- und Abwinde und Turbulenzen. Und schliesslich ist auch der Sauerstoff ein Thema. Die Auswirkungen von Sauerstoffmangel (Hypoxie) auf den Körper sowie die Höhe, ab welcher die Symptome auftreten, sind zwar individuell sehr verschieden und hängen von Faktoren wie Alter, Schlafmangel, Alkohol-Genuss am Tag vor dem Flug oder vom Rauchen ab. Schon ab einer Höhe von 2000 Metern über Meer kann sich laut Experten eine verminderte Leistungsfähigkeit erkennbar machen. Der Kommandant eines Flugzeugs hat sicherzustellen, dass er und die übrigen Besatzungsmitglieder während des Fluges stets zusätzlichen Sauerstoff benützen, wenn sie während mehr als 30 Minuten auf einer Höhe zwischen 3000 und 3900 Metern und wenn sie konstant auf eine Flughöhe von über 3900 Metern über Meer fliegen.
Good Airmanship
Piloten werden im Gebirgsflug ausgebildet, die Herausforderungen sind ihnen bekannt. Mit der richtigen Flugtaktik behält der Pilot jederzeit den Überblick und ist vorbereitet, rechtzeitig den Entscheid für eine Umkehr zu treffen. «Fliegen unter erschwerten Bedingungen, richtiges Handeln in Notfällen, erkennen der Grenzen, selbständig entscheiden, situationsangepasst handeln und während dem ganzen Flug die Übersicht behalten: diese Eigenschaften gut zu beherrschen bezeichnet man als good Airmanship», schreibt die Flugschule Grenchen auf ihrer Webseite. Und diese Eigenschaften zeichnen letztendlich einen guten und sicher fliegenden Piloten aus.