Thea Rasche, 1899 geboren, stammte aus einer bürgerlichen Familie. Sie besuchte die Töchterschule in Essen, doch bald drängte sie ihr Vater, jung zu heiraten, um sein Vermögen einem männlichen Erben zu übergeben. Thea selbst jedoch träumte von Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Gegen den Willen ihres Vaters ging sie nach Oberbayern, wo sie an der landwirtschaftlichen Frauenschule eine Ausbildung zur Landwirtin absolvierte. Kaum zurück in Essen, präsentierte ihr der Vater den Wunschschwiegersohn. Thea lehnte jedoch ab und nahm eine Stelle in Hamburg an, doch der Lohn war so gering, dass sie sich ihren Unterhalt nicht leisten konnte. Zähneknirschend gab sie ihre Zustimmung zur Heirat – um diese eine halbe Stunde vor der im Mai 1923 geplanten Trauung wieder zurückzuziehen.
Ausbildung und erste Erfolge
Einige Monate später luden Bekannte aus Münster Thea Rasche zu sich ein. Die Freunde führten eine Flugschule und liessen Thea fliegen. Wegen der nach dem Ersten Weltkrieg herrschenden Beschränkungen machte die Flugschule jedoch bald Konkurs. Thea Rasche begab sich in die Rhön, wo sie sich für das Segelfliegen begeisterte. Dort lernte sie Ernst Udet (Jagdflieger im 1. Weltkrieg, General Luft Zeugmeister im 3. Reich) und Paul Bäumer (Jagdflieger im 1. Weltkrieg, Flugzeugkonstrukteur und Kunstflieger) kennen. Bäumer nahm sie als Flugschülerin an und bildete sie im Kunstflug aus.
Am 23. Januar 1925 absolvierte sie den ersten Alleinflug einer Frau in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, am 27. November 1925 durfte sie ihren Flugschein entgegennehmen. Gleich im Anschluss machte sie als erste deutsche Frau ihren Kunstflugschein.
Flugtage und Vorführungen
In den Folgemonaten reiste Rasche mit Udet und Bäumer quer durch Deutschland, sie organisierte Flugtage und Flugvorführungen. Am Berliner Flugtag im September 1926 flog sie als einzige Frau unter 33 männlichen Fliegern. Zu ihrer grossen Überraschung erhielt sie von ihrem Vater, ein eigenes Flugzeug – einen Doppeldecker vom Typ Udet U 12 «Flamingo». Dieses Modell war Mitte der 1920er Jahre ein erfolgreiches deutsches Schulflugzeug, entworfen und gebaut von Ernst Udet. Im Essener Industrierennen 1927 gewann Rasche als einzige weibliche Teilnehmerin den ersten Preis in ihrer Flugzeugklasse, den zweiten Preis im Gesamtwettbewerb und den ersten Preis im Geschicklichkeitsflug. Aus Freude über diese Erfolge schenkte ihr der Vater eine Reise in die USA.
Erfolgreicher USA Aufenthalt
Die populäre Fliegerin erhielt mehrere Einladungen von Journalisten, in die USA zu reisen. Sie flog von Berlin über Essen nach Paris, wo sie von Admiral Richard Evelyn Byrd und Flugpionier Clarence Chamberlin zum Tee empfangen wurde und auch die berühmten Piloten Bernt Balchen, Bert Acosta sowie Marschall Ferdinand Foch (Oberbefehlshaber der Alliierten an der Westfront, 1. Weltkrieg) kennenlernte. Anschliessend flog sie nach Southampton weiter, wo sie ihren Flamingo zerlegen und an Bord des Schiffes Leviathan bringen liess.
Die Amerikaner konnten es zu diesem Zeitpunkt kaum glauben, dass eine Frau allein ein Flugzeug flog. Nachdem Thea Rasche einige Kunstflugfiguren über und um die Freiheitsstatue herumgeflogen hatte, begegnete sie einem riesigen Enthusiasmus. Alle wollten mit ihr fliegen und boten viel Geld, um als Passagier mitgenommen zu werden. Sie bekam Hunderte von Einladungen aus allen Landesteilen. Auf ihrer Reise durch die USA hielt sie zahlreiche Reden und rief die Städte dazu auf, Flugplätze zu bauen. «Girls, lernt fliegen» war ihr am häufigsten geäusserten Satze. Als erste Frau wurde sie in den «Quieed Birdman», einen exklusiven Club US-amerikanischer Militärflieger, aufgenommen (neben Rasche waren Amelia Earhart und Ruth Elder die einzigen Frauen, die diese Ehre bekamen).
Am 12. August 1927 musste Rasche den Flamingo wegen Motorenproblemen notlanden. Beim Abschleppen ging das Flugzeug zu Bruch. Um Industriespionage zu verhindern, wurden die Überreste verbrannt. Nachdem aus Deutschland ein neuer Flamingo geliefert worden war, machte Rasche eine US-Tournee im Auftrag der Regierung, um für den Bau von Flugplätzen zu werben. In einer Stadt hatte sie einen Unfall: der Motor ihrer Maschine setzte aus und sie wollte notlanden. Weil jedoch auf dem Flugplatz Tausende von Menschen standen, musste sie in einem naheliegenden Sumpf niedergehen. Sie trug eine Hirnerschütterung und einen schweren Schock davon und konnte einige Tage lang nicht richtig sprechen.
Empfang durch US-Präsident Coolidge
In Washington wurde sie von Präsident Calvin Coolidge empfangen und lernte dort auch Charles Lindbergh und Orville Wright kennen. Immer lauter wurden die Stimmen, die sie zu einem Atlantikflug aufforderten. Nachdem Lindbergh dies geschafft hatte, war es nur eine Frage der Zeit, dass die erste Frau dieses Unternehmen wagen sollte und Thea Rasche bekam zahlreiche Sponsoringangebote – unter der Bedingung, dass sie sich in den USA einbürgern liess. Im August 1927, als Ruth Elder und Anne Löwenstein ebenfalls ankündigten, den Atlantikflug zu versuchen, kehrte Thea Rasche nach Deutschland zurück, um Geldgeber für die Unternehmung zu finden. Die deutsche Regierung war daran nicht interessiert, da das Flugzeug von einer Frau gesteuert würde. Schliesslich brachte sie 15'000 Reichsmark an Spenden zusammen, mit denen sie sich in den USA ein Flugzeug bestellte.
Missglückter Atlantikflug
Zurück in den USA fing sie an, ihren Namen zu vermarkten, um mehr Geld zusammenzubringen: Sie verkaufte Thea-Rasche-Fliegerbrillen und Fliegerkombis. Als sie das bestellte Flugzeug abholen wollte, erfuhr sie, dass ihr Geld veruntreut und das Flugzeug nie gebaut worden war. Die millionenschwere Gesellschaftsdame Fifi Stillman hörte von Rasches Pech und beschloss spontan, sie zu unterstützen. Innerhalb von wenigen Tagen verfügte Thea Rasche über ein voll ausgerüstetes Flugzeug vom Typ Bellanca. Aber erst verhinderte schlechtes Wetter den Start, dann eine gerichtliche Verfügung, die der Deutschen den Start verbot. Erneut handelte Fifi Stillman und brachte Pilotin und Flugzeug von New York nach Kanada. Nach mehreren Fehlstarts auf der für das schwere Flugzeug ungeeigneten Piste, verlor Stillman jedoch das Interesse an der Unternehmung und entzog Thea Rasche ihre Unterstützung.
Erneut sass Rasche nun auf dem amerikanischen Kontinent fest, durfte nicht fliegen. In der Zwischenzeit hatte Amelia Earhart im Juni 1928 als erste Frau als Passagierin den Atlantik überflogen. Enttäuscht kehrte Rasche mit einem Dampfschiff nach Deutschland zurück. In Deutschland wurde sie nicht freundlich empfangen: Ihre ehemaligen Finanzpartner (diejenigen, die sie betrogen hatten) hatten das Gerücht ausgestreut, sie wäre aus Feigheit nicht gestartet und hätte ihre Partner so um ihr Geld gebracht. Um für den Prozess gegen ihre ehemaligen Partner nach New York reisen zu können, verkaufte sie ihr Flugzeug. Sie gewann den Prozess und da sie kein Geld für die Rückfahrt mehr hatte, beschloss sie, in den USA zu bleiben. Ihrer Meinung nach waren dort die Möglichkeiten für einen weiblichen Piloten beträchtlich grösser als in Europa.
Teilnahme am ersten Luftrennen für Frauen
Für die Teilnahme am Cleveland Women’s Air Derby, dem ersten Luftrennen für Frauen, bot die US-amerikanische Moth Aircraft Corporation Rasche ein Flugzeug und die Deckung der anfallenden Kosten an. Bei ihrer Ankunft in Santa Monica sah Rasche sofort, dass sie mit ihrer Motte gegen die mit besseren Maschinen ausgerüsteten Konkurrentinnen keine Chance haben würde. Für Rasche war es das erste Mal, dass sie mit anderen Fliegerinnen Kontakt hatte. Bisher hatte sie für diese wenig Respekt empfunden, insbesondere Earhart und Elder, welche beide in den USA über grosse Popularität verfügten, betrachtete sie mit Misstrauen und traute ihnen keine grossen fliegerischen Leistungen zu. Das Zusammensein mit ihnen belehrte sie aber bald eines Besseren: «Meine Konkurrentinnen waren ganz famose Pilotinnen, und unter uns allen herrschte gleich eine herrliche Kameradschaft», sagte Rasche.
Finanzielle und gesundheitliche Probleme
Der Start des Rennens verlief schlecht für Rasche. Bereits während der ersten Etappe hatte sie Motorenprobleme und musste notlanden, bevor sie das Etappenziel Calexico erreichte. Bei der Notlandung auf einer Wiese brach das Fahrgestell und Rasche musste acht Stunden auf einen Ersatz warten. Auf der weiteren Rennstrecke musste sie einmal wegen eines Sandsturms umkehren, sie litt zudem unter Ruhr.
Trotz der Widrigkeiten konnte sie den Anschluss an das Feld behalten, gegen Ende des Rennens überwogen Rasches fliegerische Fähigkeiten bei weitem den technischen Nachteil ihrer schwachen Maschine. Zurück in New York war Rasches Enthusiasmus schnell verflogen. Ihren für den Herbst 1929 geplanten Südamerikaflug musste sie wegen erneuter Geldprobleme absagen, denn ihr Hauptsponsor American Aeronautic Corp. wollte keinen «deutschen Propagandaflug» unterstützen und verlangte von ihr, die amerikanische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Da sie dies nicht wollte, zog sich die Firma aus dem Geschäft zurück.
Rückkehr nach Deutschland
Rasche kehrte im November 1929 nach Deutschland zurück, um hier finanzielle Unterstützung für ihren Südamerikaflug zu finden. Trotz ehrenvollem Empfang in ihrer Heimatstadt Essen schien die Zeit dafür nicht reif. Um eine Maschine für die erste Deutsche Kunstflugmeisterschaft für Damen zu erhalten, unterschrieb sie schliesslich einen Vertrag für Reklameflüge für die Firma Pfeilring, obwohl ihr diese Art Flüge zutiefst zuwider war. Als sie ihre BFW M23 der Bayrischen Flugzeugwerke abholen wollte, funktionierte deren Motor nicht richtig und sie musste vom Boden aus zusehen, wie Elly Beinhorn, Marga von Etzdorf, Liesel Bach, Vera von Bissing und Melitta Schiller um die Wette flogen.
Trotz aller Anstrengungen musste sie, während Beinhorn und von Etzdorf zu ihren spektakulären Langstreckenflügen aufbrachen, über deutschem Himmel Kunstflugfiguren und Reklameschleifen absolvieren.
Erneute finanzielle Engpässe
Da sich technische Probleme häuften, geriet Thea Rasche immer mehr in finanzielle Engpässe. Die Reklameflüge warfen nicht genügend ab, um Lebensunterhalt, Ersatzteile und die Raten für das Flugzeug zu bezahlen. Im Frühjahr 1933 musste sie schliesslich ihr Flugzeug verkaufen, um die Ratenzahlungen begleichen zu können. Aber auch das reichte nicht aus und «zähneknirschend» bat sie schliesslich ihren Vater um das Geld, um die restlichen Raten zu bezahlen. Er tat dies nur unter der Bedingung, dass sie mehr fliegen würde.
Thea Rasche fand nun eine Stelle als Journalistin bei der Deutschen Flugillustrierten. Die Arbeit und insbesondere die engen Kontakte mit vielen Persönlichkeiten aus der Luftfahrt und der Sportfliegerei, gefielen ihr wider Erwarten sehr gut.
Abenteuer Australien
Zum 100 Jahr-Jubiläum des australischen Bundesstaates Victoria und der Stadt Melbourne im Jahr 1934 wollten die bekanntesten und wagemutigsten Flieger dieser Zeit ein «Internationales Flugzeugrennen für den Frieden» (das so genannte MacRobertson Luftrennen) von England nach Australien organisieren. Da Thea Rasche kein Geld für ein eigenes Flugzeug hatte und sie erfuhr, dass die niederländische KLM mehrere Maschinen ins Rennen schickte, nutzte sie ihre neuen Kontakte um wenigstens einen Platz als Passagierin in deren Douglas DC-2 namens «Uiver» zu bekommen. Rasche war begeistert über das Rennen, denn ein weltumspannendes Flugrennen für den Frieden war einer ihrer langjährigen Träume.
Von jeder Zwischenlandung der «Uiver» aus schickte sie Berichte und Artikel an Zeitungen und Zeitschriften in ganz Europa und Übersee und wurde so zur einzigen Reporterin, die das Rennen aus erster Hand miterlebte. Zudem war sie begeistert vom Reise-Komfort in der DC-2, der Bedienung durch einen richtigen Koch und von der Professionalität der Besatzung. Es waren unter anderem diese Reportagen, die zum grossen Aufschwung der zivilen Luftfahrt und insbesondere der Douglas Aircraft Company beitrugen. Nach der Landung in Melbourne, wo Rasche als einzige Frau das Ziel erreichte, wurde sie so begeistert empfangen, als hätte sie die DC-2 selber geflogen.
Im Weissen Haus durch Eleanor Roosevelt empfangen
Von Australien flog Thea weiter nach Amerika. Bei ihrer Ankunft in Los Angeles wurde sie ebenfalls mit Jubel empfangen – immerhin war die Uiver ein amerikanisches Flugzeug. Rasche erhielt zahlreiche Einladungen, Vorträge zu halten und ihre Fotos des Rennens zu präsentieren. Zudem wurde sie zum Ehrenmitglied der Women’s International Association of Aeronautics gekürt und von Eleanor Roosevelt ins Weisse Haus eingeladen. Sie traf auch Amelia Earhart, die ihr 1934 im Namen des Club der Neunundneunzig einen Pokal mit der Inschrift «Wings around the world for peace – won by Thea Rasche», überreichte. Von Washington DC reiste sie nach New York, um dort die deutsche Rekordfliegerin Elly Beinhorn zu treffen und gemeinsam mit ihr den Dampfer nach Deutschland zu nehmen.
Kaum in Deutschland angekommen, erfuhr sie vom Tod ihres Vaters. Ihre Finanzprobleme hatten nun ein Ende und weil er das Geld, das er ihr geliehen hatte, pfenniggenau von ihrem Erbe abgezogen hatte, fühlte sie sich nicht mehr an ihr Versprechen, nicht mehr zu fliegen, gebunden. Sie machte ihren Segelflugschein und arbeitete weiter als Journalistin. Ab 1935 war Rasche als freie Journalistin und Buchautorin tätig, 1947 wurde Thea Rasche entnazifiziert. Die Entnazifizierungskammer bestätigte, dass sie nur nominelles Mitglied der NSDAP gewesen sei sich nie mit ihren Zielen identifiziert habe.
Rasche lebte noch einige Jahre in den USA, kehrte später in ihre Heimatstadt Essen zurück, wo sie im Jahre 1971 starb. Sie wurde im Grab der Familie Rasche auf dem Friedhof in Essen-Bredeney bestattet, seit 2008 zum Ehrengrab umgewandelt, damit die Ruhestätte der berühmten Flieger erhalten bleibt. In der Nähe der Flugplätze Frankfurt am Main und Berlin-Gatow, in Sindelfingen und Freudenstadt sind Strassen nach ihr benannt.